Über Verurteilung und Distanzierung

28.11.2023

Categories: Antisemitismus, Apartheid und Siedlungskolonialismus

Solidarität ist nicht immer bequem. Sie erfordert Auseinandersetzung mit politischen Positionen, moralischen Fragen und manchmal auch mit den eigenen Emotionen und Ängsten. Verunsicherung und Misstrauen werden vom israelischen Staat, von rechten Organisationen und von manchen Medien gezielt geschürt, um die weltweit wachsende Solidarität mit Palästina zu delegitimieren und zu schwächen. Nebst oft ungerechtfertigten Antisemitismusvorwürfen, zeigt sich dies in der immer wieder aufs Neue formulierten Forderung, diese oder jene Gruppe solle sich von der Hamas und ihren Gewalttaten distanzieren.

Das Einfordern von Verurteilungen der Hamas, bevor Kritik an Israel geäussert werden darf, stützt die Behauptung, dass der Hauptgrund für mit Palästina solidarische Positionen nicht linke Visionen und der Wunsch nach Gerechtigkeit und Freiheit, sondern Islamismus oder Antisemitismus seien. Das wird besonders dann skurril, wenn die Verurteilung/Distanzierung von Gruppen eingefordert wird, deren politische Praxis sich eindeutig von derjenigen der Hamas unterscheidet.

Die Distanzierung von der Hamas wird zu einem Zeitpunkt erwartet, in dem Israel Gaza einem genozidalen Angriff unterzieht, tausende unbewaffnete Menschen ermordet und Hunderttausende vertrieben werden. Eine Distanzierung von der Hamas zu erwarten, bevor ein Waffenstillstand gefordert werden darf, gibt dem israelischen/westlichen Narrativ gewissermassen recht, dass es sich beim Angriff auf Gaza um einen Krieg gegen die Hamas handelt. Obwohl nicht nur die Hamas, sondern mehrheitlich die zivile Bevölkerung Gazas angegriffen wird, und dies letztlich einen neuen Höhepunkt in der seit Jahrzehnten anhaltenden kolonialen Unterdrückung Palästinas darstellt.

Politische Positionierungen passieren nicht in einem diskursiven Vakuum. Nicht explizit vorgenommene Verurteilung von Gewalt, bedeutet nicht dasselbe wie das Gutheissen dieser Gewalt. Es ist zum Beispiel relevant, dass Politik und Medien hierzulande im Vergleich zu jüdischen nur wenige palästinensischen Stimmen zu Wort kommen lassen und beinahe ausschliesslich auf die Gewalt der Hamas und deren Taten vom 7. Oktober fokussiert haben. Die israelischen Verbrechen hingegen werden weder aktuell noch in den letzten 75+ Jahren mit demselben Eifer verurteilt. Im Gegenteil, die Gewalt der israelischen Armee wird – oft in unkritischer Reproduzierung der Statements des israelischen Militärs – als legitime Selbstverteidigung eingeordnet und politisch, ökonomisch und militärisch gestützt, während palästinensisches Streben nach Freiheit als prinzipielle Gefahr für jüdisches Leben delegitimiert wird. Palästinensisches Leid wird dabei weniger gewichtet als israelisches, was zum Beispiel an dem ausbleibenden Aufschrei angesichts der riesigen Anzahl palästinensischer Opfer im Vergleich zu den israelischen deutlich wird, oder dem Umstand, dass palästinensischen Berichten über die israelische Gewalt oftmals nicht geglaubt wird. In diesem politischen Klima von Palästinenser*innen eine Distanzierung zu verlangen, die sie umgekehrt meist nicht erwarten können, ist zynisch. Das Verweigern einer solchen Verurteilung kann in unseren Augen ein nötiger Versuch sein, den Diskurs zu drehen, um die genozidale Gewalt des israelischen Militärs sichtbar zu machen und ins Zentrum zu stellen.

Die ständige Forderung nach Verurteilung ist zudem eine herablassende, gewaltvolle und dehumanisierende Ausübung von Macht, welche sich in eine lange Tradition der Rechtfertigung westlicher Kriegsverbrechen einreiht. Nach dieser Logik haben die Betroffenen westlich-imperialistischer Kriege erst dann ein Leben in Sicherheit und Freiheit verdient, wenn sie ihre Mitschuld an ihrer Situation eingestehen und sich von Taten distanzieren, für die sie nichts können. Palästinensische Leben sind demnach nur schützenswert, wenn Palästinenser*innen dieselben Positionen vertreten wie diejenigen, von denen sie unterdrückt werden und die ihr Leid nicht anerkennen. Sie müssen ihre Menschlichkeit erst beweisen, bevor sie als Menschen wahrgenommen werden. Sie müssen zuerst Mitgefühl für das Leid der Besatzer zeigen, bevor Sie ihrerseits Mitgefühl erwarten dürfen. Es ist nur zu gut verständlich, wenn Betroffene sich dieser diskursiven Machtausübung entziehen wollen. Eine Machtausübung, die auch darin sichtbar wird, dass jene, die sich nicht von 75+ Jahren zionistischer Gewaltgeschichte distanzieren, ihrerseits nicht vom Diskurs ausgeschlossen werden.

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