Studierende der Sozialen Arbeit sollen in Verharmlosungsstrategien eingebunden werden

12.10.2018

Categories: Akademischer Boykott

Basel, 12.10.2018

Liebe Studierende der FHNW, liebe Interessierte an der Studienreise Israel

Mit Befremden nehmen wir Kenntnis vom Modul „Sich auf Fremdes einlassen“ der FHNW in Form einer Studienreise nach Israel für Studierende in Sozialer Arbeit.

Dem Ausschreibungstext ist zu entnehmen, dass Israel vor allem im Lichte der Geschichte des Judentums und der Immigration jüdischer Menschen aus aller Welt nach Israel thematisiert werden soll. Es wird suggeriert, dass Israel als Beispiel eines Landes dienen kann, in dem Professionelle der Sozialen Arbeit wertvolle Erkenntnisse über den Prozess der Integration fremder Kulturen gewinnen können.

In seinen vagen Bezügen auf Geschichte, Religion, Migration und die damit verbundenen Probleme schockiert der Ausschreibungstext vor allem in dem, was er ausspart und unerwähnt lässt. Und das ist eine ganze Menge – nämlich alles, was mit dem israelischen Selbstver­ständnis eines westlich geprägten, ethnisch-religiösen Staates für Juden/Jüdinnen* und der gleichzeitigen systematischen Ausgrenzung, Vertreibung und Unterdrückung der einheimi­schen palästinensischen Bevölkerung zu tun hat.

Kein Wort darüber, dass die Studienreise in einen Staat führt, dessen demokratische Regeln nur für die jüdische Bevölkerung gelten, während er über die Palästinenser*innen (inklusive jener mit israelischer Staatsbürgerschaft) ein Apartheidregime errichtet hat (siehe dazu die Studie Israeli Practices towards the Palestinian People and the Question of Apartheid).

Erst vor wenigen Wochen hat Israel dieses ethnisch-religiös begründete Staatsverständnis in ein neues „Nationalstaat-Gesetz“ gegossen, das die längst praktizierte Diskriminierung der palästinensischen Bevölkerung nun gesetzlich vorschreibt und selbst in westlichen Mainstream-Medien als rassistisch verurteilt wurde (siehe z.B. Die Welt oder die Analysen von Adalah, des palästinensischen Menschenrechtszentrums in Israel).

Kein Wort darüber, dass Israel aktuell eines der Länder mit der restriktivsten Migrations­politik ist, sofern es nicht um die Aufnahme von jüdischen Migrant*innen geht (siehe dazu die Recherchen des israelischen Journalisten David Sheen).

Kein Wort über den Rassismus gegenüber der arabischen Welt, der die israelische Geschichte zutiefst geprägt hat und sich z.B. in der massiven sozialen Schlechterstellung der jüdischen Migrant*innen aus dem arabischen Raum (Mizrachim) gegenüber den Einwander*innen aus Europa, aus denen sich die wirtschaftliche und politische Elite des Landes vor allem zusammensetzt. Kein Wort über die weitgehende Verleugnung, Auslöschung – und vereinzelte Vereinnahmung (Hummus als „israelische“ Nationalspeise) – des orientalischen kulturellen Erbes (siehe als ein Beispiel unter vielen den Artikel Anti-Mizrahi discrimination was official Israeli policy vom 26.11.2017).

Auch kein Wort über die Tatsache, dass Israel als Staat mit der Mehrheit der Holocaust-Überlebenden alles andere als einen „traumasensiblen Umgang“ pflegte, sodass viele in bitterer Armut leben bzw. gelebt haben und von den Kompensationsgeldern, die beispielsweise Deutschland gezahlt hat, nichts erhielten (siehe z.B. Nach KZ und Vertreibung die Armut, Die Zeit, vom 24.4.2008).

Wenn Israel im Ausschreibungstext als „Schmelztiegel“ bezeichnet wird, der kulinarisch, musikalisch, visuell und taktil erfahren werden soll, dann klingt dies wie direkt übernommen aus den Handbüchern der Hasbara. Der Begriff bedeutet auf Hebräisch „Erklärung“ oder „öffentliche Diplomatie“ und meint die mit massiven Geldern betriebene staatliche Propaganda Israels (siehe dazu die Rede des israelkritischen US-Diplomaten Chas W. Freeman Jr., 1.12.2012, Hasbara and the Control of Narrative as an Element of Strategy). Ein Schwerpunkt dieser Strategie besteht darin, über spezifische Bildungsangebote, Kulturveranstaltungen und Freizeitevents das Land von seiner unverfänglich attraktiven Seite zu präsentieren und von den massiven Menschen- und Völker­rechtsverletzungen abzulenken, die der israelische Staat gegenüber den Palästinenser*innen begeht.

Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass das Angebot zu dieser Studienreise im Widerspruch zum Berufskodex der Sozialen Arbeit steht: Soziale Arbeit ist den Prinzipien der Menschenrechte, der Menschenwürde, der sozialen Gerechtigkeit, der Unterstützung bei der Verwirklichung des Anrechts auf existenzielle Bedürfnisse – insbesondere bei Menschen und Gruppen, die „in der Verwirklichung ihres Lebens illegitim eingeschränkt sind“ – und dem Grundsatz der Integration verpflichtet. Israel ignoriert diese Grundsätze für die palästinensische Bevölkerung. Es verletzt systematisch die meisten der dem Berufskodex zugrunde liegenden internationalen Übereinkommen der UNO und des Europarates, ohne dass dies in der Ausschreibung auch nur erwähnt wird. Die Studienreise widerspricht auch der globalen Definition der International Federation of Social Workers, die unter dem Punkt Knowledge darauf hinweist, dass Sozialarbeit „nicht nur durch spezifische Praxisumgebungen und westliche Theorien, sondern auch durch indigenes Wissen geprägt ist, … das abgewertet und durch westliche Theorien und Wissen hegemonisiert“ wurde. Mit der Ausblendung der einheimischen palästinensischen Bevölkerung und ihrer Realität schreibt sich die Reise in einen kolonialen Blickwinkel ein und ist ein Affront gegenüber dem Verständnis der Sozialen Arbeit als Teil eines Prozesses der Dekolonisierung.

Wir möchten die Qualität der Arbeit der einzelnen Organisationen, die auf dem Besuchs­programm stehen, in keiner Weise bewerten. Aus den oben genannten Gründen sehen wir die Studienreise jedoch als Teil der laufenden Strategie der Verharmlosung der israelischen Politik und fordern Sie als Studierende auf, dieses „Angebot“ auszuschlagen und sich nicht davon instrumentalisieren zu lassen.

Allen Interessierten, die sich gern aus kritischer Perspektive vertiefter mit der strukturellen Diskriminierung in Israel, dem repressiven Umgang mit „fremden Kulturen“ aus der Sicht der palästinensischen Bevölkerung oder Alternativen zu einem ethnisch-religiös definierten Staat informieren und darüber diskutieren wollen, bieten wir gern die Möglichkeit zu einem gemeinsamen Austausch.

BDS-Aktivist*innen aus Basel

Zurück

© BDS Schweiz