Stellungnahme: Das rot-grün Bündnis und seine Haltung zu BDS

25.11.2020

Categories: Angriffe gegen BDS, Antisemitismus, Internationales Recht

Im Kontext der Kandidatur von Heidi Mück für den Regierungsrat in Basel haben Medien und Politiker*innen mehrfach unqualifizierte Aussagen zur BDS-Bewegung gemacht. Wir erlauben uns daher, Mitgliedern und Vertreter*innen von SP, Grünen und BastA! folgende Stellungnahme zuzusenden, in der Hoffnung auf einen objektiveren und faireren Umgang mit einer wichtigen Solidaritätsbewegung.

Muss ein Vorwurf stimmen, nur weil ihn diverse Journalist*innen oder Politiker*innen aufgreifen?

Ist BDS «antisemitisch gefärbt», wie die Basler Zeitung schreibt? Hat BDS je zum Boykott «jüdischer Produkte» aufgefordert, wie die bz schreibt*? Ist das Ziel von BDS, die «israelische Wirtschaft und jüdische Einrichtungen generell zu schädigen», wie die Online-Zeitung primenews.ch schreibt? Nein, all diese Aussagen sind falsch.

Das rot-grüne Lager in Basel ist aktuell gezwungen, sich mit Angriffen auf die BDS-Bewegung zu konfrontieren. Die bisherigen Stellungnahmen zeichnen sich unserer Ansicht nach durch Unkenntnis einerseits und Taktieren auf dem Rücken einer legitimen Menschenrechtsbewegung andererseits aus. Wir möchten alle Politiker*innen und Parteien des rot-grünen Lagers daher auf einige Aspekte im Zusammenhang mit der BDS-Bewegung hinweisen. 

In gebotener Kürze sei hier auf vier Ebenen eingegangen; umfassende Hintergrundinformationen finden sich auf unserer Website www.bds-info.ch:

1) Charakterisierung von BDS: rassistisch, diskriminierend, antisemitisch oder gestützt auf politische Grundsätze?

Die BDS-Bewegung stützt sich in ihren drei Forderungen (Gleichberechtigung der palästinensischen Bürger*innen Israels; Ende der militärischen Besatzung und Umsetzung des Rückkehrrechts für palästinensische Flüchtlinge) konsequent auf völkerrechtliche Grundlagen und universale Werte, die – wie wir annehmen – auch von den Parteien des rot-grünen Lagers vertreten werden. Die Realisierung unserer Ziele würde den Charakter des israelischen Staates selbstverständlich verändern. Ein solcher politischer Wandel hat aber nichts mit irgendeiner Vernichtungs- oder Vertreibungsintention zu tun. Unser Aufruf zu Boykott, Desinvestition und Sanktionen gegen Israel stützt sich auf das Völkerrecht. Er ist inspiriert durch die Bewegung gegen die Apartheid im südlichen Afrika und bedient sich ähnlicher Instrumente wie andere zivilgesellschaftliche Kampagnen oder auch staatliche Akteure, die Sanktionen gegen andere Staaten verhängen. Unsere Kriterien sind politischer Natur und beziehen sich an keiner Stelle auf ethnisch-religiöse Zugehörigkeit. BDS ruft nur so lange zum Boykott israelischer Produkte, zu Desinvestition und Sanktionen auf, wie Israel die legitimen Grundrechte der Palästinenser*innen systematisch verletzt, und keinen Tag länger.
Mehr zur internationalen Unterstützung der BDS-Bewegung durch anerkannte Persönlichkeiten, darunter zahlreiche Jurist*innen, siehe weiter unten als Anhang.

2) Der Antisemitismusvorwurf in Medien und politischen Gremien

Die israelische Regierung und israelfreundliche Lobbyorganisationen setzen seit einigen Jahren viel Energie und Ressourcen in die Bekämpfung der BDS-Bewegung, die als «existenzielle Bedrohung» wahrgenommen wird. Siehe https://www.theguardian.com/world/2015/jun/03/israel-brands-palestinian-boycott-strategic-threat-netanyahu

Dies geschieht insbesondere mit der Unterstellung, BDS sei antisemitisch oder BDS sei eine terroristische Bewegung, aber auch durch die gezielte Verunglimpfung von Akteur*innen, die sich für die Grundrechte der Palästinenser*innen und/oder BDS engagieren. Diese Antisemitismusvorwürfe werden von verschiedenen Parteien, politischen Gremien und Medien aufgegriffen. Doch sie stützen sich auf keine kohärente Definition des – in unseren Gesellschaften zweifellos bestehenden – Antisemitismus. Der von verschiedenen Journalist*innen auch im Zusammenhang mit der Kandidatur von Heidi Mück erwähnte Beschluss des deutschen Bundestags ist nicht unbestritten, siehe dazu die Stellungnahme von 240 israelischen und jüdischen Wissenschaftler*innen, die sich kritisch dazu äussern und vor der Instrumentalisierung des Kampfs gegen Antisemitismus warnen. Siehe https://taz.de/Bundestagsbeschluss-zu-Israel-Boykott/!5601030/

3) Unterscheidung zwischen ethnisch-religiöser (oder kultureller) Zugehörigkeit und politischen Ansichten

Die Instrumente der BDS-Bewegung sind an politische Bedingungen geknüpft und beziehen sich an keiner Stelle auf ethnisch-religiöse Zugehörigkeit. So ist beispielsweise der Aufruf zum Konsumboykott, den Heidi Mück bei der Lancierung mitunterstützt hat, sehr klar im Bezug auf seine Ziele. Er wird so lange fortgesetzt, bis Israel die Grundrechte der Palästinenser*innen respektiert. Sind diese legitimen Ziele erreicht, besteht kein weiterer Grund mehr für Aufrufe zu Boykott (durch die Zivilgesellschaft), Desinvestition (durch Kirchen, Pensionskassen etc., siehe auch die Kriegsmaterial-Initiative und die Konzernverantwortungsinitiative) oder Sanktionen (durch staatliche Akteure).

4) Distanzierung von was?
Zweifellos ist es berechtigt, sich von einer früheren Haltung oder Aussage zu distanzieren, die man als kritikwürdig oder falsch erkennt. Im konkreten Fall gehen wir davon aus, dass das rot-grüne Lager die Werte des Antirassismus, der Gleichberechtigung, des Antimilitarismus etc. vertritt, aber von Kritiker*innen unter Druck gesetzt wird, die ihm die Unterstützung antisemitischer Haltungen vorwerfen. Aus diesem Grund distanziert es sich von BDS und den Werten, die diese Bewegung im Bezug auf die fundamentalen Menschenrechte der Palästinenser*innen vertritt, auf Kosten eben dieser genannten Werte und Prinzipien.

Eine differenziertere Auseinandersetzung der rot-grünen Parteien mit der BDS-Bewegung ist unserer Meinung nach angebracht. Die politischen Werte und Grundsätze, die Sie in Ihren Parteien vertreten, müssen auch für die BDS-Kampagne und die Auseinandersetzung mit der israelischen Politik gegenüber den Palästinenser*innen gelten. Ohne eine sachliche, auf Grundwerten basierende Haltung wird es Rot-Grün und/oder Heidi Mück auch nicht gelingen, diese Angriffe zum Verschwinden zu bringen.

Genau dies zeigt sich momentan in Grossbritannien, wo Jeremy Corbyn des Antisemitismus bezichtigt wird und seine Labour-Mitgliedschaft suspendiert wurde. Unter Corbyns Führung hat es die Partei verpasst, langjährige engagierte Labour-Mitglieder, die sich für die Grundrechte der Palästinenser*innen und gegen jede Form von Rassismus engagiert haben, gegen unqualifizierte Antisemitismusvorwürfe in Schutz zu nehmen und einen konstruktiven Dialog über den Umgang mit den Menschenrechtsverletzungen des israelischen Staates zu starten. Nun droht Corbyn selbst der Parteiausschluss.

Wir möchten alle Beteiligten des rot-grünen Bündnisses in Basel und der nationalen Parteien dazu einladen, sich mit unseren Argumenten auseinanderzusetzen und sich tatsächlich zu einem «differenzierteren» und couragierteren Umgang mit BDS und Israel/Palästina durchzuringen.

Weitere Links:

Unterstützung der BDS-Bewegung durch prominente Persönlichkeiten und Bewegungen und jüdische Kritiker*innen der israelischen Politik

Nicht umsonst wird BDS von zahlreichen Völkerrechtler*innen (darunter die beiden früheren UN-Sonderberichterstatter für das besetzte Palästinensische Gebiet, Richard Falk aus den USA und John Dugard aus Südafrika), ehemaligen Antiapartheid-Kämpfer*innen (darunter Erzbischof Desmund Tutu), Intellektuellen (darunter die Philosophin und Feministin Judith Butler), Kulturschaffenden (darunter Ken Loach), Wissenschaftler*innen (darunter der verstorbene Stephen Hawking), von antirassistischen Bewegungen wie Black Lives Matter und von Menschenrechtsaktivist*innen aus aller Welt unterstützt, die die universalistischen Ziele und Anliegen von BDS wie Freiheit, Gleichberechtigung und Gerechtigkeit teilen und die Legitimität dieser Bewegung als Ausdruck der politischen Meinungsfreiheit verteidigen. Eine Reihe von Gerichten, darunter zuletzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, kommen zu analogen Einschätzungen. Siehe https://www.bds-info.ch/index.php/de/artikel/egrm-erteilt-abfuhr

Zahlreiche regimekritische Israelis und jüdische Aktivist*innen aus aller Welt, die für den Respekt der Grundrechte der Palästinenser*innen eintreten, unterstützen den palästinensischen BDS-Aufruf, darunter die Jewish Voice for Peace samt ihrem Ableger in der Schweiz. Siehe z.B. https://taz.de/Debatte-ueber-die-BDS-Bewegung/!5631712/

Legitimität von BDS, rechtliche Stellungnahmen
200 namhafte Jurist*innen, darunter die beiden Schweizer Robert Kolb, ehemaliger Rechtsberater für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten, sowie Marco Sassòli, ehemaliger stellvertretender Leiter der Rechtsabteilung des IKRK, haben schon 2016 in einer Stellungnahme festgehalten, dass BDS ein legitimer Ausdruck politischer Meinungsfreiheit ist. Siehe https://www.bds-info.ch/index.php/de/artikel/id-200-europaeische-rechtsgelehrte-bekraeftigen-das-recht-auf-bds-2659

*Auf Intervention von BDS CH hat die "bz" am 4. November ein Korrigendum
folgenden Inhalts veröffentlicht:
Korrekt: Israelische, nicht jüdische Produkte. Im Artikel "Ich komme
alleine, und ich kann das" von Freitag, 30. Oktober, wurde
fälschlicherweise behauptet, Heidi Mück habe einen Boykottaufruf
jüdischer Produkte unterschrieben. Richtig ist, dass es sich um einen
Aufruf zum Boykott israelischer Produkte handelt. Die Ziele von BDS sind
politischer Natur und beziehen sich nicht auf ethnisch-religiöse
Kriterien. Wir bedauern diesen Irrtum.

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