PACBI-Kriterien für Kulturellen Boykott

24.02.2011

Categories: Kultureller Boykott

PACBI-Richtlinien für den internationalen kulturellen Boykott von Israel vom 20. Juli 2009 (überarbeitet im Oktober 2010)

Seit April 2004 ruft die Palästinensische Kampagne für den akademischen und kulturellen Boykott Israels (PACBI) die Intellektuellen und AkademikerInnen in der ganzen Welt auf, „alle israelischen akademischen und kulturellen Institutionen umfassend und konsequent zu boykottieren, um einen Beitrag zu leisten im Kampf um die Beendigung der israelischen Besatzung, der Kolonisierung und des Apartheidsystems“.[1]
 
Im Jahre 2006 appellierte eine klare Mehrheit der palästinensischen Kulturschaffenden, einschliesslich der meisten FilmemacherInnen und KünstlerInnen, unterstützt von Hunderten internationalen Kulturschaffender, an alle KünstlerInnen und FilmemacherInnen mit Verantwortungsbewusstsein, sich dem institutionellen kulturellen Boykott gegen Israel anzuschliessen.[2] Als Antwort veröffentlichte der bekannte britische Künstler und Schriftsteller John Berger eine Stellungnahme, die von Dutzenden internationalen KünstlerInnen, SchriftstellerInnen und FilmemacherInnen unterstützt wurde und alle KollegInnen weltweit aufruft, sich dem palästinensischen Aufruf zum kulturellen Boykott anzuschliessen.[3]
Im Geiste dieses kulturellen Boykotts und in Übereinstimmung mit dessen Logik erschien am 8. Mai 2008 in der „International Herald Tribune“ ein halbseitiges Inserat unter dem Titel „Kein Grund zum Feiern“, in dem Dutzende von international bekannten Kulturschaffenden einschliesslich Mahmoud Darwish, Augusto Boal, Ken Loach, Andre Brink, Ella Shohat, Judith Butler, Vincenzo Consolo, Ilan Pappe, David Toscana und Aharon Shabtai als Antwort auf die weltweiten Feierlichkeiten zum „60. Geburtstag“ Israels folgende Stellungnahme unterschrieben:

„Es gibt keinen Grund zu feiern! Israel ist nach 60 Jahren immer noch ein Staat, der den palästinensischen Flüchtlingen die von der UNO zugesicherten Rechte verweigert, bloss weil sie nicht jüdisch sind. Israel hält immer noch widerrechtlich palästinensisches und anderes arabisches Land besetzt und verletzt dadurch zahlreiche UNO-Resolutionen. Es bricht laufend in grober Weise internationales Recht und verletzt fundamentale Menschenrechte, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, mit der grosszügigen wirtschaftlichen, diplomatischen und politischen Unterstützung der USA und Europas. Die eigenen palästinensischen BürgerInnen sind immer noch institutionalisierter Diskriminierung ausgesetzt.“
Die Kampagne für einen kulturellen Boykott der südafrikanischen Apartheid war eine wesentliche Inspirationsquelle bei der Formulierung des palästinensischen Boykottaufrufs und dessen Kriterien. In diesem Zusammenhang war das Schlüsselargument des südafrikanischen Apartheidregimes und seiner Verteidiger rund um die Welt gegen den kulturellen und sportlichen Boykott des Apartheidregimes, dass Boykott die Meinungsfreiheit und die Freiheit des kulturellen Austauschs verletze. Dies wurde vom Direktor des United Nations Centre Against Apartheid, Enuga S.Reddy, strikt zurückgewiesen, als er 1984 schrieb:
„Es ist, gelinde gesagt, eher seltsam, dass das südafrikanische Regime, das …der afrikanischen Bevölkerungsmehrheit … alle Freiheiten versagt, … zum Verteidiger der Freiheit der Künstler und Sportler der Welt werden soll. Wir haben eine Liste von Leuten, die in Südafrika aufgetreten sind, aus Unkenntnis der Situation oder aus Geldgier oder aus Achtlosigkeit gegenüber Rassismus. Sie müssen davon überzeugt werden, die Apartheid nicht weiter mit aufrechtzuerhalten, nicht weiter vom Apartheitgeld zu profitieren und nicht länger der Propaganda des Apartheidregimes zu dienen.“
In ähnlicher Weise zielt der palästinensische Boykott auf kulturelle Institutionen, Projekte und Veranstaltungen, die weiterhin den Zwecken des israelischen Kolonial- und Apartheidregimes dienen.
Während Jahren intensiver Zusammenarbeit mit Partnern in verschiedenen Ländern zur Vorantreibung des kulturellen Boykotts von Israel hat PACBI Dutzende von Kulturprojekten und Veranstaltungen sorgfältig geprüft, die Anwendbarkeit der Boykottkriterien beurteilt und dementsprechend offene Briefe, Stellungnahmen und Gutachten dazu verfasst. Die beiden wichtigsten Schlussfolgerungen in dieser Hinsicht sind: (a) viele dieser Veranstaltungen und Projekte fallen in eine unsichere Grauzone, die schwierig einzuschätzen ist und (b) der Boykott darf nicht nur auf die mitverantwortlichen Institutionen zielen, sondern auch auf die inhärenten, organischen Verbindungen zwischen den Institutionen, die die Maschinerie der kolonialen Unterjochung und der Apartheid am Laufen halten. Aufgrund dieser Erfahrung und in Reaktion auf die zunehmende Nachfrage nach spezifischen PACBI-Richtlinien für den kulturellen Boykott verschiedener Projekte, von Filmfestivals über Kunstausstellungen, Musik- und Tanzaufführungen bis zu Konferenzen, legt die Kampagne eindeutige, konsequente und kohärente Kriterien und Richtlinien fest, die spezifisch die Nuancen und Eigenheiten auf kulturellem Gebiet ansprechen.
Diese Richtlinien haben hauptsächlich das Ziel, es Kulturschaffenden und Organisatoren weltweit zu erleichtern, dem palästinensischen Boykottaufruf nachzukommen und damit einen Beitrag für das Erreichen eines gerechten Friedens in unserer Region zu leisten.
 
Richtlinien für den kulturellen Boykott
Bevor auf die verschiedenen Kategorien von kultureller Produktion und Kulturveranstaltungen eingegangen wird, sei als allgemeine Regel festgehalten, dass bis zum Beweis des Gegenteils alle israelischen Kulturinstitutionen mitverantwortlich für die Aufrechterhaltung der israelischen Besatzung und der Verweigerung der Grundrechte der PalästinenserInnen sind, indem sie dazu schweigen oder aktiv daran beteiligt sind, diese zu rechtfertigen, schönzufärben oder sonstwie die Aufmerksamkeit von Israels Verletzungen des internationalen Rechts und der Menschenrechte abzulenken. Folglich müssen alle diese Institutionen (vor allem die wichtigsten staatlichen und öffentlichen Kulturinstitutionen), alle ihre Produktionen und alle Veranstaltungen, die sie finanzieren oder mittragen, boykottiert werden. Aus dem gleichen Grund sind internationale KünstlerInnen und Kulturschaffende dringend aufgerufen, davon abzusehen, ihre Werke (z.B. Filme, Installationen, literarische Werke) bei mitverantwortlichen israelischen Kultureinrichtungen oder Veranstaltungen auszustellen, aufzuführen oder vorzutragen oder die Veröffentlichung oder Ausstellung ihrer Werke in deren Rahmen zu bewilligen. Veranstaltungen und Projekte mit Personen, die diese mitverantwortlichen Institutionen repräsentieren, sollten ebenso boykottiert werden.
Internationale Kulturschaffende, die dem Boykottaufruf nicht nachkommen und versuchen, zum "Ausgleich" palästinensische Institutionen zu besuchen, gehen von dem aus, wovor Nelson Mandela gewarnt hat: „die Gleichheit von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit“. Obwohl Besuche in den besetzten palästinensischen Gebieten durch internationale UnterstützerInnen und Anwälte der palästinensischen Rechte von den PalästinenserInnen immer als Quelle der Ermutigung und Inspiration angesehen worden sind, sind die PalästinenserInnen zunehmend der Meinung, dass Solidarität bedeutet, dem Boykottaufruf nachzukommen und nicht den Besuch palästinensischer Institutionen mit dem Besuch oder der Teilnahme an Konferenzen und Anlässen von zu boykottierenden israelischen Institutionen zu kombinieren. Internationale Besucher, die darauf bestehen, israelische Kultureinrichtungen in ihr Programm einzubeziehen, und gegen den Boykott verstossen, können nicht erwarten, dass sie von palästinensischen Kultureinrichtungen willkommen geheissen werden.
In den folgenden Ausführungen bezeichnet „Produktion" kulturelle Produktionen wie Filme oder andere Kunstformen, „Veranstaltung“ bezieht sich auf Filmfestivals, Konferenzen, Kunstausstellungen, Tanz-und Musikaufführungen, Tourneen von KünstlerInnen und SchriftstellerInnen etc.
Die folgenden Kriterien erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sollen andere vernünftige Grundprinzipien für den Boykott weder vorwegnehmen noch ersetzen oder abwerten, insbesondere dort, wo eine Produktion oder eine Veranstaltung ganz explizite Kriegsverbrechen, Rassendiskriminierung, Apartheid, Unterdrückung von Grundrechten oder schwere Völkerrechtsverletzungen rechtfertigt, verteidigt oder sogar befürwortet.

Gestützt auf die bisherigen Ausführungen gilt der palästinensische kulturelle Boykott Israels für folgende Situationen:
 
(1) Das kulturelle Produkt ist von einer offiziellen israelischen Instanz oder von nicht-israelischen Institutionen, die der israelischen Imagewerbung (Brand Israel) oder ähnlichen Propagandazwecken dient, in Auftrag gegeben worden[6]
Alle kulturellen Produktionen, die durch ein offizielles Organ (z.B. Ministerium, Gemeinde, Botschaft, Konsulat, staatlicher oder sonstiger öffentlicher Filmfonds etc.) oder im Rahmen von Kampagnen oder Institutionen zur Aufwertung des Images von Israel in Auftrag gegeben werden, ob israelisch oder international, verdienen es, auf institutioneller Ebene boykottiert zu werden, weil sie vom israelischen Staat oder mit dem Staat zusammenwirkenden Institutionen in Auftrag gegeben und damit finanziert werden, um insbesondere die staatlichen Propaganda oder Imagewerbung zu unterstützen, deren Ziel es ist, die israelische Besatzung und andere Verletzungen der palästinensischen Rechte und des internationalen Rechts zu verharmlosen, zu rechtfertigen, schönzureden oder die Aufmerksamkeit davon abzulenken. Das Ausmass dieser ausdrücklichen Komplizenschaft/Mitverantwortung ist aber oft schwierig nachzuweisen, weil Informationen zu einem direkten Auftrag nicht so einfach zu bekommen sind oder sogar absichtlich verschleiert werden.

(2) Die Produktion wird von einer offiziellen israelischen Instanz finanziert, ohne von dieser in Auftrag gegeben zu sein (keine politische Verpflichtung)
Der Ausdruck „politische Verpflichtung“ bezieht sich hier speziell auf diejenigen Bedingungen, die den Empfänger einer finanziellen Unterstützung dazu verpflichten, der israelischen Regierung oder mitverantwortlichen Institutionen direkt oder indirekt bei der Aufwertung des Images von Israel bzw. Propaganda zu dienen. Produktionen, die durch offizielle israelische Instanzen finanziert sind, wie unter (1) beschrieben, die aber nicht in Auftrag gegeben worden sind und deshalb nicht direkt irgendeine politische Verpflichtung beinhalten, sind nicht per se zu boykottieren. Individuelle kulturelle Produktionen, die im Rahmen des individuellen Anspruchs von Kulturschaffenden als steuerzahlenden BürgerInnen staatliche Unterstützung erhalten, ohne sich damit zu verpflichten, den politischen und PR-Interessen des Staats zu dienen, sind gemäss PACBI-Kriterien nicht zu boykottieren. Werden aber politischen Verpflichtungen akzeptiert, macht dies die kulturelle Produktion oder den kulturellen Anlass zu einer Form von Komplizenschaft, da diese zu den israelischen Bemühungen beitragen, die Realität des Kolonialismus und der Apartheid zu verschleiern oder reinzuwaschen. Sie sind folglich zu boykottieren.
Die Freiheit der individuelle Meinungsäusserung und insbesondere des künstlerischen Ausdrucks sollte in diesem Zusammenhang voll und ganz respektiert werden. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass individuell israelische oder nicht israelische KünstlerInnen, FilmemacherInnen, SchriftstellerInnen etc. von einem Boykott betroffen sind, zu dem verantwortungsbewusste BürgerInnen weltweit (über den Anwendungsbereich der PACBI-Kriterien hinaus) aufrufen, um auf Handlungen oder Äusserungen des/der betreffenden Kulturschaffenden zu reagieren, die gemeinhin als besonders verletzend wahrgenommen werden (wie direkte oder indirekte Anstiftung zu Hass und Gewalt, Rechtfertigung bzw. indirekte Befürwortung von Kriegsverbrechen oder anderen schweren Verletzungen des internationalen Rechts, rassistische Verleumdungen, reale Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen etc.). Auf dieser Ebene sollten die israelischen Kulturschaffenden nicht automatisch ausgenommen werden von Kritik und sonstigen legalen Protestformen jeder Art, einschliesslich des Boykotts; sie sollten gleich behandelt werden wie alle anderen Übeltäter der gleichen Kategorie, nicht besser und nicht schlechter.

(3) Die Veranstaltung ist teilweise oder vollständig von einer offiziellen israelischen Körperschaft oder einer mitverantwortlichen Institution gesponsert oder finanziert
Das allgemeine Prinzip ist, dass Veranstaltungen oder Projekte, die unter dem Sponsoring/Patronat einer offiziellen israelischen Behörde, einer mitverantwortlichen Institution oder einer diesen angegliederten Institution durchgeführt werden, zu boykottieren sind. Das gleiche Prinzip findet bei der Unterstützung oder beim Sponsoring durch nicht israelische Institutionen Anwendung, die der Verbesserung des Images von Israel dienen. Es ist inzwischen auch gut dokumentiert, dass israelische KünstlerInnen, SchriftstellerInnen oder andere Kulturschaffende, die staatliche Gelder zur Deckung von Kosten für die Teilnahme an einer internationalen Veranstaltungen für sich oder ihre Kunstproduktion beantragen, zustimmen müssen, zu Israels offiziellen Propagandabemühungen beizutragen. Die Kulturschaffenden müssen dafür einen Vertrag mit dem israelischen Aussenministerium unterschreiben, in dem sie "sich verpflichten, ehrlich, gewissenhaft und unermüdlich danach zu handeln, höchste professionelle Leistungen für das Ministerium zu erbringen. Der Leistungserbringer ist sich bewusst, dass der Zweck der von ihm bestellten Dienstleistungen darin besteht, die politischen Interessen des Staates Israel durch Kultur und Kunst zu fördern, wozu auch gehört, beizutragen zur Schaffung eines positiven Israel-Images".[7]

(4) Die Produktion ist weder von einer offiziellen israelischen Körperschaft noch von einer mitverantwortlichen Institution gesponsert oder finanziert
Solange die obgenannten Kriterien nicht verletzt werden, das offizielle Israel oder andere mitverantwortliche Institutionen nicht als Sponsoren auftreten, ist die individuelle Produktion israelischer Kulturschaffender unabhängig von ihrem Inhalt oder Wert per se nicht zu boykottieren.

(5) Die Veranstaltung oder das Projekt vertreten eine verlogene Symmetrie oder Ausgewogenheit
Kulturelle Veranstaltungen und Projekte, die PalästinenserInnen und/oder AraberInnen und Israelis einbeziehen, um den Ausgleich zwischen „beiden Seiten“ zu fördern, indem diese ihre jeweiligen Sichtweise darstellen, als ob sie auf gleicher Stufe stünden, oder die auf andere Art von der falschen Prämisse ausgehen, dass die Kolonisatoren und die Kolonisierten, die Unterdrücker und die Unterdrückten gleichermassen Verantwortung für den „Konflikt“ tragen, sind vorsätzlich irreführend, intellektuell unredlich und moralisch verwerflich. Solche Veranstaltungen und Projekte, die oft versuchen, zu Dialog oder „Versöhnung zwischen den beiden Seiten“ zu ermutigen, ohne Gerechtigkeit zu fordern, fördern die Normalisierung von Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Alle Veranstaltungen und Projekte, die PalästinenserInnen und/oder AraberInnen und Israelis zusammenbringen, ohne dass die israelische Seite explizit die unveräusserlichen Rechte des palästinensischen Volks bejaht und ohne dass das Projekt bzw. die Veranstaltung in den expliziten Kontext des gemeinsamen Widerstandes gegen die Besatzung und andere Formen der israelischen Unterdrückung der PalästinenserInnen gestellt wird, sind klare Kandidaten für den Boykott. Andere Faktoren, die PACBI bei der Beurteilung solcher Veranstaltungen und Projekte einbezieht, sind die Herkunft der Finanzmittel, die Gestaltung des Programms, die Zweckbestimmung der geldgebenden Organisation(en), die Teilnehmenden und ähnliche relevante Faktoren.
 
 Hinweise:
[1] http://www.pacbi.org/etemplate.php?id=869
[2] http://www.pacbi.org/etemplate.php?id=315
[3] http://www.pacbi.org/etemplate.php?id=415
[4] Eine solche Organisation ist die America-Israel Cultural Foundation, deren Auftrag umfasst, den Staat Israel als eine Kreativität und künstlerisches Leben inspirierende blühende Kulturlandschaft darzustellen. Siehe http://www.aicf.org/about/mission. Die Organisation bezieht ihr Ansehen daraus, alle grossen kulturellen Institutionen in Israel wie das Israel Philharmonic Orchestra und das Israel Museum unterstützt und gefördert zu haben.

 
Hier können Sie die Kriterien als pdf herunterladen

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