Können Kartoffeln aus Israel unter den aktuellen Bedingungen nachhaltig sein?

21.07.2017

Categories: Früchte & Gemüse, Konsumboykott

Seit Jahren tauchen jeweils im Frühling Kartoffeln aus Israel in den Regalen der Schweizer Grossverteiler auf. Produziert werden diese in der westlichen Negev-Wüste, einem Gebiet mit weniger als 200 mm Niederschlag im Jahr. Der intensive Wasserverbrauch der dortigen israelischen Landwirtschaftsbetriebe steht im krassen Widerspruch zur prekären Lage im unmittelbar angrenzenden Gazastreifen, wo die Politik der israelischen Besatzungsmacht eine der schlimmsten Wasserkrisen der Welt produziert. Im Negev anerkennt Israel zudem die traditionellen Nutzungsrechte der palästinensischen Beduin_innen nicht an und diskriminiert sie sowohl bei der Landnutzung als auch beim Zugang zu sauberem Wasser.

Israelische Produkte – wirklich bio und fair?

Dieses Jahr verkaufte Coop zum ersten Mal israelische Kartoffeln, die aus dem Moshav Yesha stammen, mit dem von Bio Suisse vergebenen Knospe-Label. Mit dem Label sollten Produkte ausgezeichnet werden, die unter ökologischen, nachhaltigen und gerechten/fairen Bedingungen hergestellt werden. Betriebe im Ausland, deren Produkte in der Schweiz mit dem Knospe-Label verkauft werden, müssen strenge Richtlinien von Bio Suisse einhalten und spezifische Auflagen, unter anderem in den Bereichen Wasser und Land, erfüllen. Landgrabbing ist explizit verboten und Nutzniesserrechte von indigenen Völkern oder lokalen Bewirtschafter_innen ohne offizielle Grundbuchdokumente sollen geschützt werden. Die Richtlinien zur Wassernutzung stellen insbesondere in trockenen Klimazonen einige Anforderungen an das Wassermanagement der zertifizierten Betriebe.

Vor dem Hintergrund der in Israel/Palästina stattfindenden systematischen Diskriminierung in genau diesen Bereichen sind jedoch Zweifel angebracht, ob die bestehenden Kriterien ausreichend sind und ob sie wirklich glaubwürdig kontrolliert werden. Auf die Zertifizierung haben entsprechend zahlreiche Konsument_innen mit Unverständnis reagiert.

„Keine Verbindung zum Land“

Die palästinensische Bevölkerung in Israel wird durch die diskriminierende Praxis der Israeli Land Authority (ILA) und des Jewish National Fund (JNF/KKL) von der Nutzung landwirtschaftlicher Flächen weitgehend ausgeschlossen. Palästinenser_innen ist es kaum möglich, eigene Landwirtschaftsbetriebe zu gründen. Zahlreiche Gesetze verhindern, dass palästinensische Eigentumsrechte geltend gemacht werden können. Israel erkennt zudem die traditionellen Nutzungsrechte der Beduin_innen, die insbesondere im Negev die Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung ausmachen, nicht an. Beispielhaft zeigt sich die Diskriminierung der Beduin_innen in einem präzedenzsetzenden Gerichtsurteil von 1984, das festhält, dass ein Beduine gemäss israelischer Definition keine Verbindung zum Land hat und haben kann.

Der israelische Staat verfolgt bis heute Pläne, die demografische Zusammensetzung im Land zu ändern. Insbesondere in Regionen mit einem hohen Anteil an palästinensischen Bewohner_innen wie dem Norden und dem Negev wird durch entsprechende Infrastrukturpolitik und Raumplanung gezielt die Ansiedlung jüdischer Betriebe und Gemeinden gefördert, während palästinensische Ortschaften zum Teil nicht anerkannt und in ihrer ökonomischen Entwicklung gehemmt werden. Insbesondere Beduin_innen werden vielfach von ihrem Land vertrieben und ihre Infrastrukturen und Ortschaften zerstört.

Wasserdominanz in Israel

Die Wasserverteilung in Israel/Palästina ist bestimmt durch institutionelle Diskriminierung unter Kontrolle des israelischen Staats, der die Verteilung auf eigenem Territorium wie im besetzten Gebiet (inklusive Gazastreifen) bestimmt. Eine massive Umverteilung von Wasserressourcen findet durch den National Water Carrier (NWC) statt, der Wasser aus dem See Genezareth bis in die Negev-Wüste transportiert, um dort den Aufbau von Landwirtschaftsbetrieben und Ortschaften im trockenen Gebiet zu ermöglichen. Dieses Grossprojekt ist mit katastrophalen ökologischen und sozialen Folgen verbunden. Die massive Wasserentnahme von bis zu 500 Millionen Kubikmeter pro Jahr aus dem See Genezareth führt praktisch zum Austrocknen des Jordans, der heute nur noch einen Bruchteil der ursprünglichen Wassermenge führt – zum grossen Teil Abwässer aus Siedlungen, Industrie und Landwirtschaft. Wegen des fehlenden Zuflusses durch den Jordan sinkt auch der Wasserspiegel des Toten Meers um über einen Meter pro Jahr.

Die Landwirtschaftsbetriebe im Negev nutzen nebst Wasser aus dem NWC auch den Küstenaquifer, der bis in den Gazastreifen reicht und dort die einzige unabhängige Grundwasserquelle ist. Diese Wasserentnahme vermindert den unterirdischen Wasserfluss und wirkt damit einer dringenden Erneuerung des Grundwasservorrats im Gazastreifen entgegen. Das dicht besiedelte Gebiet, das faktisch eine Stadt mit nahezu 2 Millionen Einwohner_innen darstellt, ist infolge der Besatzung 1967 von seinem Umland abgeschnitten. Keine Stadt kann ohne Ressourcen aus der nahen Umgebung auskommen. Seit Jahren hat Israel den Gazastreifen, für dessen Versorgung es gemäss Völkerrecht zuständig ist, hermetisch abgeriegelt und blockiert den Ausbau der Infrastruktur sowie die ausreichende Versorgung der Bevölkerung. Das an den Negev und den NWC angrenzende Gebiet steht unmittelbar vor einem katastrophalen Kollaps seiner Wasserversorgung. Durch die mit der Abrieglung zusammenhängende Übernutzung der Grundwasserschichten und deren fehlende Erneuerung dringt Meerwasser in den Küstenaquifer. Bereits heute sind laut UNO 95% des Grundwassers versalzt und untrinkbar. Der deutsche Hydrologe Clemens Messerschmid weist darauf hin, dass der Gazastreifen austrocknet, obwohl grosse Mengen an überschüssigem Wasser direkt daran vorbeifliessen und für die exportorientierte israelische Landwirtschaft genutzt werden.

Die Richtlinien von Bio Suisse scheinen nicht zu genügen, um solch systematische institutionelle Diskriminierung bei der Ressourcenverteilung, die über die Ebene des einzelnen Betriebs hinausgeht, auszuschliessen. Der konkrete Fall der israelischen Kartoffeln aus dem Moshav Yesha macht deutlich, dass die umfassendere Frage der israelischen Land- und Wasserpolitik durch die aktuellen Kriterien nicht erfasst wird. Fragen nach Verteilungsgerechtigkeit werden bei der Beurteilung nicht berücksichtigt. Die Fokussierung auf einzelne Betriebe führt dazu, dass Auswirkungen an anderen Orten , die durchaus mit der zertifizierten Produktion in Verbindung stehen, übersehen werden.

Politische Tragweite von Kartoffelimporten

Mit der Verteilung von Land- und Wasserressourcen in Israel/Palästina verfolgt der israelische Staat demografische und politische Ziele. Durch die diskriminierende Praxis im Negev, aber auch in anderen Teilen Israels und in den besetzten Gebieten werden die Existenzgrundlagen der palästinensischen Bevölkerung zunehmend zerstört. Grundlegende Menschenrechte werden damit verletzt. Nirgends zeigt sich dies so deutlich wie im Anbaugebiet der Kartoffeln, die Bio Suisse zertifiziert hat: Während im Gazastreifen ein vollständiger Kollaps der Wasserversorgung bevorsteht, ermöglicht nur wenige Kilometer entfernt ein Wasserüberschuss den Anbau von intensiven Kulturen in Wüstengebieten.

In diesem Kontext stützt der Entscheid, israelische Kartoffeln oder andere landwirtschaftliche Produkte zu importieren, eine ungerechte Praxis und bekommt eine politische Tragweite. Gemäss den UNO-Leitsätzen für Wirtschaft und Menschenrechte sind Unternehmen verpflichtet, ihre Verantwortung zur Einhaltung der Menschenrechte wahrzunehmen und vor allem in Konfliktsituationen eine besondere Sorgfaltspflicht walten zu lassen. Dies gilt umso mehr, wenn Staaten involviert sind, die nicht gewillt sind, die Menschenrechte eines Teils der Bevölkerung angemessen zu schützen, oder wenn dieser Staat selbst für Völker- und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist. Unternehmen und Organisationen wie Bio Suisse tragen eine Mitverantwortung dafür, dass fundamentale Menschenrechte wie das Recht auf Wasser sichergestellt, respektiert und gefördert werden.

In diesem Sinn fordert BDS Schweiz, dass Bio Suisse die Knospen-Zertifizierung für israelische Kartoffeln überdenkt und israelische Produkte nicht zertifiziert, solange sich die politischen Rahmenbedingungen für die landwirtschaftliche Produktion nicht ändern und die israelische Land- und Wasserpolitik systematische diskriminierende Elemente enthält. BDS Schweiz hat sich mit Vertretern von Bio Suisse zu einem ersten Austausch getroffen und wird den Dialog fortführen.

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