Antworten von Samah Sabawi auf sechs Einwände gegen die BDS-Kampagne

23.08.2011

Categories: BDS-Argumente

Antwort einer Palästinenserin auf die Aussagen der Israelin Naomi Chazan

A Palestinian woman’s response to Israel’s Naomi Chazan on BDS

Englische Quelle: Palestine Chronicle
Von Samah Sabawi
 
Naomi Chazan, die Präsidentin des New Israel Fund (NIF), hielt kürzlich, während ihrer Australien Tour, einen Vortrag in Marrickville (New South Wales) und kritisierte den Aufruf der palästinensischen Zivilgesellschaft für Boykott, Desinvestition und Sanktionen (BDS) gegen Israel.
Obwohl sie sich als Veteranin der Friedensbewegung in Israel vorstellte, bezweckte Chazans Mission in Australien offensichtlich, den NIF zu fördern. Das ist insofern wichtig, weil alles, was sie über BDS äusserte, im Zusammenhang mit ihrer Mission, nämlich Geld und Unterstützung zu sammeln und die Juden in Australien zu überzeugen, dass sie weiterhin über den NIF in Israel investieren sollten, verstanden werden muss. Dieser klare Interessenkonflikt macht Chazans Kritik an BDS unglaubwürdiger.
Chazan nannte sechs Gründe, warum sie glaubt, dass BDS schädlich ist.

BDS ist nicht wirksam, weil Israel eine sehr starke Wirtschaft hat:
Südafrikas Wirtschaft boomte ebenfalls, als die Boykott-Bewegung gegen das Regime in den späten 1950er-Jahren begann. Jahrzehnte später brachte die Bewegung das südafrikanische Apartheidregime zum Zusammenbruch.
Viele israelische Führer, einschliesslich Ehud Barak, Ben-Eliezer, Shimon Peres und andere mehr, haben bereits geäussert, dass BDS eine „strategische Bedrohung“ darstellt. Sie meinen natürlich, eine ernsthafte Bedrohung für Israels System der Besatzung, der legalisierten rassistischen Diskriminierung (gemäss der UN Definition von Apartheid) und der Verweigerung des Rückkehrrechts. Wir müssen nur auf die Millionen von Dollar schauen, die Gruppen der Israel-Lobby in den westlichen Ländern einsetzen für Bemühungen, die Bewegung zu „sabotieren“, um zu wissen, dass sie tatsächlich wirkungsvoll ist. Die Tatsache, dass Chazan in ihrem Marrickville-Vortrag so sehr auf BDS fokussierte, bestätigt das.
Es gibt auch andere Anzeichen für die Wirksamkeit von BDS.
Der Rückzug der Deutschen Bahn vom israelischen Bahnprojekt, das Tel Aviv mit Jerusalem verbinden soll, war ein Meilenstein für die Bewegung. Es war das erste Mal, dass sich ein staatliches deutsches Unternehmen wegen Bedenken in Bezug auf das internationale Recht von einem israelischen Projekt zurückgezogen hat. Der Verlust des französischen Unternehmens Veolia von Verträgen im Wert von Milliarden Dollar wegen der Beteiligung am illegalen Schnellbahnprojekt in Jerusalem zeigt ebenfalls den Einfluss der BDS-Kampagne, speziell in Europa.
Die Liste der Superstars und prominenten Musikgruppen, die den Boykott von Israel unterstützen, wird rasch länger und Tel Aviv erscheint gleicht stark der südafrikanischen Sun City während der Apartheid. Diese Stadt war ein Hauptziel für den kulturellen Boykott zu jener Zeit.
Der Abbruch der Verbindungen zwischen der Universität von Johannesburg und der Ben-Gurion-Universität wegen deren Komplizität bei der Verletzung der palästinensischen Rechte ist der bis heute der deutlichste Sieg der Kampagne für den akademischen Boykott.
Und es gibt immer mehr Gewerkschaften, die BDS unterstützen, so in Grossbritannien, Brasilien, Irland, Südafrika, Kanada, Frankreich, Italien, Belgien, Indien, der Türkei und anderswo.

BDS untergräbt die Existenz Israels:
Die Forderungen sind klar. Volle Gleichstellung der palästinensischen Bürger in Israel, ein Ende der Besatzung und die Erfüllung der israelischen Verpflichtungen gegenüber den Flüchtlingen. Wenn diese Forderungen die Existenz Israels bedrohen, müssen wir uns fragen, was das über Israel aussagt.
Ein echter demokratischer Staat, auf dem Fundament von Gerechtigkeit und Gleichheit, wäre nicht bedroht durch die Forderung nach Gleichheit und nach einem Ende der Besatzung. Der Boykott brachte nicht das Ende der Existenz von Südafrika, zerstörte es nicht und delegitimisierte nicht „die Weissen“, er zerstörte nur das südafrikanische Unrechts-, Ungleichheits- und Rassendiskriminierungssystem.

BDS ist zu einem „Code-Wort für Einstaatenlösung“ geworden und steht dem Recht der Israelis und der Juden auf Selbstbestimmung entgegen:
BDS hat weder eine Einstaaten- noch eine Zweistaatenlösung zum Ziel, sondern zielt auf die Rechte der Palästinenser. Eines dieser Rechte ist, dass Palästinenser in ihrem eigenen Land frei sind, ohne das Joch der israelischen Besatzung und ohne ein System der Rassendiskriminierung. Ob das in einem Staat für beide Völker oder in zwei souveränen, demokratischen Staaten, die nebeneinander existieren, sein wird, bleibt noch zu entscheiden. Die Bewegung ist dazu neutral, unabhängig von der persönlichen, politischen Ansicht ihrer verschiedenen Sprecher.

BDS ist kontraproduktiv, weil es die Opfermentalität derjenigen in Israel verstärkt, die glauben, dass die ganze Welt gegen sie ist, was unvermeidbar den rechten politischen Flügel in Israel stärkt und den linken schwächt:
Zurzeit dominiert die fanatische Rechte die ganze israelische Gesellschaft, aber wenn einmal die Boykotte Israels sorgfältig genährtes öffentliches Image zu beschädigen beginnen, werden andere Stimmen hörbarer werden, wie das in Südafrika geschehen ist. Dann wird der aktuelle Konsens zur Unterstützung von Apartheid und Kolonialherrschaft auseinanderbrechen.

BDS ist gegen die akademische Freiheit und grenzt israelische Akademiker aus:
Chazan ist in dieser Hinsicht vorsätzlich irreführend. Wie jeder einigermassen gut informierte Beobachter nach sieben Jahren der palästinensischen Kampagne für einen akademischen Boykott und aus Hunderten dazu verfassten Artikeln wissen muss, ist der akademische Boykott institutioneller Natur und hat deshalb niemals individuell auf israelische Akademiker gezielt. BDS ist konsequent gegen akademische Institutionen gerichtet, wegen ihrer andauernden und schwerwiegenden Komplizität in der Planung, Einführung und Rechtfertigung israelischer Völkerrechtsverletzungen.
Chazans Behauptungen, dass israelische Akademiker progressiv und gegen die Besatzung seien, ist absolut unbegründet. 2008 hatten vier jüdisch-israelische Akademiker eine Petition lanciert, die die israelische Armee dazu aufrief, palästinensischen Akademikern und Studenten an den Checkpoints den Zugang zur ihren Ausbildungsstätten zu gewähren. Die Petition wurde an alle 9000 israelischen AkademikerInnen verteilt, in der Hoffnung, dass die meisten unterzeichnen würden als minimales Zeichen des Respekts für die akademische Freiheit: nur 407 von 9000 Akademikern unterschrieben ….

BDS weist Israel eine negative Sonderrolle zu:
Diese Kritik wird so oft geäussert, dass man sich fragen muss, ob es Chazan und anderen darum geht, mehr Engagement für andere Konflikte zu fordern, oder ob sie nach Gründen suchen, das Engagement für die palästinensischen Anliegen zum Schweigen zu bringen. Jedenfalls erheben sich die Menschen in fast jedem arabischen Staat in Israels Nachbarschaft gegen tyrannische Regime und suchen nach Veränderung. Gegen einige dieser Regierungen werden nun internationale Sanktionen verhängt. Warum nicht auch gegen Israel, das seit Jahrzehnten den Vereinten Nationen die Stirn bietet und das Völkerrecht missachtet?
Ebenso wichtig ist hier die Frage, warum man sich nicht für die palästinensischen Rechte einsetzen sollte. Warum haben die Palästinenser eine Sonderstellung als einziges Volk, für das man sich nicht engagieren dürfte? Wir dürfen uns zu allen anderen Themen sprechen. Zu behaupten, Israel würde unfair an den Pranger gestellt, wenn man sich für die PalästinenserInnen einsetzt, ist eine tendenziöse Behauptung.
Das Lager der israelischen Linken, die sich moralischen Grundsätzen verpflichtetet fühlen und gleiche Rechte für alle, die von den Vereinigten Nationen verbürgten Rechte der palästinensischen Flüchtlinge und ein Ende der kolonialen Unterdrückung respektieren, sollten ihre Zeit dafür einsetzen – und tun dies auch –, sich gegen die Apartheid-Politik der Regierung und die Unterdrückung der PalästinenserInnen zu bekämpfen, anstatt das Modell des gewaltlosen Widerstandes, an dem sich BDS orientiert, zu kritisieren.
Chazans Bestrebungen, BDS zu unterminieren, muss im einen Kontext gestellt werden. Chazan wird nach Israel zurückkehren, wo sie als privilegierte, jüdische Bürgerin alle Rechte geniesst. Sie ist Teil und Trägerin eines Establishments, das den PalästinenserInnen ihre Grundrechte und Freiheiten abspricht, und so steht es ihr nicht zu, den PalästinenserInnen die Methoden ihres Kampfes vorzuschreiben oder als Türhüterin der internationalen Solidaritätsbewegung aufzutreten und zu predigen, was erlaubt ist und was nicht, denn sie steht nicht an der Seite der PalästinenserInnen. Wie bei jedem Kampf von Menschen für Freiheit und Gleichheit steht dies einzig und allein jenen zu, die hinter Mauern, von Checkpoints behindert und unter Besatzung und militärischer Unterdrückung leben.
Übersetzung: Cornelia Hanke

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