Der israelische Oberste Gerichtshof entschied: Palästinensische Gefangene haben keinen Anspruch auf Schutz gegen COVID-19

11.08.2020

Categories: Apartheid und Siedlungskolonialismus, Internationales Recht

26.07.2020, von Adalah (unabhängige palästinensische Menschenrechtsorganisation für die politische und juristische Interessenvertretung der arabischen Minderheit in Israel)

 Der Oberste Gerichtshof Israels lehnt Adalahs Antrag ab, Israel solle die COVID-19-Schutzrichtlinien für Gefangene im Gefängnis von Gilboa umsetzen; 30 Gefängniswärter*innen und sieben Gefangene sind infiziert, während 489 Wärter*innen und 58 Gefangene unter Quarantäne stehen. Der Oberste Gerichtshof entschied am späten Donnerstag, 23. Juli 2020, dass Palästinenser*innen, die in israelischen Gefängnissen festgehalten werden, keinen Anspruch auf den nötigen Abstand zum Schutz vor dem COVID-19-Virus haben.

Das Gericht war am 23.7. zusammengetreten, um eine Petition von Adalah anzuhören, in der gefordert wird, dass die israelische Strafvollzugsbehörde (IPS) und das israelische Ministerium für öffentliche Sicherheit alle erforderlichen Massnahmen ergreifen, um die 450 mehrheitlich palästinensischen Gefangenen, die im überfüllten Gefängnis von Gilboa sitzen, vor einem Ausbruch von COVID-19 zu schützen.

Adalahs Anwältin, Myssana Morany, die die Petition im Namen der Familien zweier palästinensischer Gefangener einreichte, reagierte auf die Entscheidung des israelischen Obersten Gerichtshofs:

«Der israelische Oberste Gerichtshof hat sich entschieden, die von den israelischen Behörden aufrechterhaltene Fiktion zu übernehmen, dass die Politik des Abstandhaltens bei COVID-19 – die für alle anderen unverzichtbar ist – für die eingesperrten palästinensischen ‹Sicherheitsgefangenen› nicht gilt. Diese bahnbrechende Entscheidung gefährdet das Leben und die Gesundheit der von Israel inhaftierten Palästinenser*innen und stellt eine Bedrohung für die Gesellschaft als Ganzes dar. Sie setzt sich über die Meinung von Gesundheits- und Menschenrechtsexperten auf der ganzen Welt hinweg, die zu Social Distancing in Gefängnissen aufgerufen haben, und setzt die von Israel festgehaltenen Palästinenser*innen schutzlos dem Virus aus.»

Die Richter übernahmen die Behauptung der israelischen Behörden, dass inhaftierte Palästinenser*innen gleich zu behandeln sind wie Familienmitglieder oder Personen, die im selben Haushalt leben. Dabei ignorierten sie die Tatsache, dass Gefangene unter Zwang festgehalten werden und die israelischen Behörden für ihre Gesundheit und die Haftbedingungen verantwortlich sind.

Die Entscheidung des Gerichts entbindet die Vollzugsbehörde von der Verpflichtung, in den Zellen der palästinensischen ‹Sicherheitshäftlinge› den nötigen Abstand zu ermöglichen und dafür zu sorgen. Dies steht im Widerspruch zu den grundlegenden Gesundheitspraktiken im Umgang mit COVID-19, die von Gefängnisbehörden auf der ganzen Welt angewandt werden.

Das Urteil unterstreicht auch die Tatsache, dass der Oberste Gerichtshof Israels es während der gesamten Dauer der COVID-19-Pandemie kontinuierlich versäumt hat, sich mit Petitionen bezüglich Schutzes der Rechte von Gefangenen zu befassen.

Das Gericht verurteilte Adalah auch, 5’000 Israelische Shekel (CHF 1'340) an Gerichtskosten zu zahlen.

In der Petition fordert Adalah, dass die IPS und das israelische Ministerium für öffentliche Sicherheit die Richtlinien des Gesundheitsministeriums zu Social Distancing für Gefangene, die in der Einrichtung Gilboa im Norden des Landes festgehalten werden, umsetzen.

Dokumente, die dem Obersten Gerichtshof von staatlichen Behörden vorgelegt und bei der Anhörung diskutiert wurden, betonten, dass Massnahmen des Social Distancing nicht für Familienmitglieder oder zusammenlebende Personen gelten, hielten aber fest, dass die Belegdichte in israelischen Gefängniseinrichtungen für Straftäter*innen reduziert werden muss.

Adalahs Anwältin, Myssana Morany, meinte unmittelbar nach der Anhörung:

«Die israelischen Behörden erklärten heute vor Gericht, dass die Politik des Social Distancing, die für den Schutz von Gefangenen, die eine Strafe verbüssen, unerlässlich ist, für ‹Sicherheitshäftlinge› nicht gilt. Die israelische Strafvollzugsbehörde hätte uns heute unterstützen und die Mittel einfordern müssen, um diejenigen zu schützen, für deren Gesundheit und Sicherheit sie direkt verantwortlich ist. Stattdessen haben wir absurde Argumente gehört, die Gefängnisse mit Wohnzimmern gleichsetzen, während Gefangene weiterhin gezwungen sind, täglich mit Wachen in Kontakt zu kommen, die ausserhalb der Gefängnismauern möglicherweise COVID-19 ausgesetzt sind.»

 

WAS MAN ÜBER ISRAELISCHE GEFÄNGNISSE WISSEN MUSS

Sechs Gefangene teilen sich im Gefängnis von Gilboa 22-Quadratmeter-Zellen (einschliesslich einer gemeinsamen Toilette und eines Badezimmers) mit drei Etagenbetten. Unter diesen Bedingungen können die Gefangenen die vom israelischen Gesundheitsministerium erlassenen Vorschriften des Social Distancing zur Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19 nicht einhalten und gefährden dadurch ihre Sicherheit und ihr Leben.

Israelische Staatsbeamte stellten dem Gericht aktualisierte Zahlen über das Ausmass der COVID-19-Pandemie in den IPS-Gefängnissen zur Verfügung:

  • 30 IPS-Mitarbeiter*innen sind mit COVID-19 infiziert
  • 7 Gefangene (darunter 2 Sicherheitshäftlinge) sind mit COVID-19 infiziert
  • 489 IPS-Mitarbeiter*innen befinden sich in Quarantäne
  • 58 Gefangene (darunter 10 Sicherheitshäftlinge) befinden sich in Quarantäne.

Das IPS führte 9’124 COVID-19-Tests durch, davon etwa 4’000 an Gefangenen.

Adalah hat mehrere Versuche unternommen, von der IPS Informationen über die Haftbedingungen palästinensischer Gefangener zu erhalten, insbesondere im Hinblick auf ihren Ausschluss von den neuen Massnahmen zur Verringerung der Gefängnisdichte. Während Israel vor kurzem während der COVID-19-Krise Hunderte von Gefangenen aufgrund von Überbelegung entlassen hat, wurden keine als Sicherheitshäftlinge eingestuften Palästinenser*innen freigelassen.

 In Reaktion auf eine von der Vereinigung für Bürgerrechte in Israel eingereichte Petition aus der Zeit vor Covid-19 entschied der Oberste Gerichtshof Israels, dass israelische Gefängniseinrichtungen eine Mindestwohnfläche von 4,5 Quadratmetern pro Gefangenem/-er garantieren müssen. IPS ist dieser Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nicht nachgekommen.

  

Quelle: Adalah
Übersetzung: französisch – The International Solidarity Movement France, deutsch – BDS Schweiz

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