Eurovision Song Contest – Rückblick und aktuelle Forderungen
Der Eurovision Song Contest 2025 in Basel wird als einer der umstrittensten in die Geschichte des Wettbewerbs eingehen. Israels Teilnahme hat europaweit für Empörung und Unverständnis gesorgt. Es gab zahlreiche Protestaktionen von BDS- und anderen Gruppen. Eine Rückschau:
Druck auf die European Broadcasting Union
Tausende Menschen in ganz Europa, darunter Kunst- und Kulturschaffende in der Schweiz, ehemalige Eurovision-Teilnehmende (inklusive Nemo!), Demonstrant*innen in Basel, politische Parteien, Politiker*innen (darunter die isländische Aussenministerin) und hunderttausende Social-Media-Nutzer*innen haben in den letzten Wochen den Ausschluss Israels von der Eurovision gefordert. Mehrere nationale Rundfunksender, darunter Spanien, Island, Slowenien und Irland haben sich dem Aufruf angeschlossen.
Die Forderung war und ist so akut, so dringlich wie noch nie. Israel treibt seinen Genozid gegen die Palästinenser*innen mit unverminderter Schnelligkeit und Brutalität voran und trotzdem hat die Organisatorin der Eurovision, die European Broadcasting Union (EBU), Israel auch 2025 wieder eine Bühne für das Reinwaschen von Kriegsverbrechen, Apartheid und Genozid zur Verfügung gestellt.
Dass sowohl die EBU als auch die Stadt Basel unter grossem Druck stand, zeigte sich unter anderem darin, dass palästinensische (und queere) Flaggen im Publikum erlaubt waren und Proteste mit wenigen Ausnahmen toleriert wurden. Auf die Anschuldigungen gegen den israelischen Sender KAN, den Genozid mit den eigenen Propagandasendungen mitzutragen, ging die EBU bis heute jedoch nie öffentlich ein.
Vereint gegen den Genozid (eine Auswahl)
Nebst den zahlreichen in Medien und Petitionen und lauter werdenden Stimmen gegen die israelische Teilnahme gab es auch eine Reihe wirkungsmächtiger Proteste in Basel, organisiert von ESC.alate4palestine. Die lokale Gruppe war gemeinsam mit solidarischen Menschen von der Eröffnung auf dem türkisenen Teppich bis zum Final mit palästinensischen Fahnen, Kufiya, Transparenten und lauten Pfiffen präsent und marschierte am Mittwochabend zwischen den beiden Halbfinalen in einem Silent March durch Basel. An der Demonstration am Abend des Grande Finale nahmen über 1000 Personen teil. Abgesehen von der gewalttätigen Einkesselung am Ende durch die Polizei verlief die Demo friedlich.
Ebenfalls von ESC.alate4Palestine wurde darauf aufmerksam gemacht, dass Morocconoil, der Hauptsponsor des ESC, eine intransparente israelische Firma ist, deren Sponsoring durch unterschiedliche europäische BDS-Organisationen schon in vergangenen Jahren problematisiert wurde.
Am Donnerstag, 15. Mai, dem Gedenktag für die Nakba, schafften es einige Aktivist*innen, mit palästinensischen Fahnen und viel Lärm bei der israelischen Hauptprobe zu protestieren. Die Proteste stiessen auf viel Zustimmung in Basels Strassen und der internationalen Berichterstattung. Am Finale gelang es zwei Aktivist*innen aus England trotz gewalttätigen Eingreifens des Personals im Stadion, lautstark gegen die israelische Teilnahme zu protestieren.
Auf nationaler Ebene konnte BDS-Schweiz schon frühzeitig einen medial wirksamen Boykottaufruf gegen den ESC publizieren. Eine von BDS-Schweiz lancierte und von über 100 Kunst- und Kulturschaffenden unterzeichnete Petition hat inzwischen über 3000 Unterschriften erreicht.
Dank einem bei Baba News publizierten Artikel über die Gründe für die Boykottforderungen und einer Baba-News-Videodokumentation haben sowohl die Ausschluss- als auch die Boykottforderung ein breites Publikum erreicht. Den Boykottforderungen angeschlossen haben sich zuerst diverse regionale JUSO-Gruppen und zu guter Letzt auch die JUSO Schweiz sowie zehntausende Menschen, die Aufrufe und Videos in den Sozialen Medien geteilt haben.
Dank einer gesamteuropäischen Zusammenarbeit konnte Artists for Palestine UK kurz vor der Eurovision eine Petition von über 70 ehemaligen Eurovision-Teilnehmenden publizieren, die ebenfalls den Ausschluss Israels vom ESC forderten. Den kritischen Stimmen schloss sich kurz vor dem ESC-Start Nemo, Schweizer Gewinner*in des letzten Jahres, an, was insbesondere in Schweizer Medien und unter Fans grosses Echo fand.
Unmittelbar nach dem ESC hat sich der spanische Ministerpräsident für einen Ausschluss Israels vom Wettbewerb ausgesprochen. Der spanische nationale Rundfunk hatte vor der Eurovisions-Übertragung eine Solidaritätsbotschaft mit der palästinensischen Bevölkerung eingeblendet. Während dieser Text vorbereitet wird, haben wir ausserdem erfahren, dass JJ, der Gewinner der diesjährigen Eurovision, sich ebenfalls einen Ausschluss Israels wünscht. Einen Auftrieb erhält diese Kritik durch den Verdacht auf Manipulation der Publikumsstimmen durch Israel gerade in den Ländern, die für ihre israelkritische Haltung bekannt sind.
Es ist zu erwarten, dass weitere ranghohe Politiker*innen, nationale Rundfunke und Kulturschaffende sich in nächster Zeit den Forderungen anschliessen.
Kritik an Boykott- und Ausschlussforderungen (ein Auswahl)
Kritik an der Forderung nach einem Ausschluss Israels kommt aus der üblichen Ecke. Die Gesellschaft gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA), die seit Jahren unter dem Deckmantel der Antisemitismusbekämpfung auf palästinasolidarische Organisationen und Stimmen eindrischt, bezeichnete die Forderung als problematisch. Auch Jonathan Kreutner, Generalsekretär des (theoretisch politisch unabhängigen) Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG) und bekannt für seine israelfreundliche Position, fand keinen Gefallen an der Forderung. Weitere Gegenstimmen kamen etwa von Lukas Gerig, GLP-Politiker und Bürgerrat der Stadt Basel, dem israelfreundlichen Journalisten und Unternehmer Sacha Wigdorovits, dem Schriftsteller Thomas Meyer oder Blick-Chefredaktor Rolf Cavalli. Argumentiert wird oft mit längst widerlegten Antisemitismusvorwürfen. Dass die Ausschlussforderungen sich gegen einen Rundfunk richten, der sich notabene in Comedysendungen über Genozid lustig macht, wird dabei ignoriert.
Bei der WOZ fand Adrian Riklin Proteste gegen die israelische Teilnahme am ESC zwar legitim, aber nur dann, wenn sie nicht von BDS Schweiz kommt. Auch Riklin instrumentalisierte den Antisemitismusvorwurf in der altbekannten Manier zur Diffamierung einer internationalen gewaltfreien Bewegung. Dass man in der WOZ zwar gerne über, aber nicht mit BDS spricht und sich seit 20 Jahren konsequent weigert, die Inhalte und die Arbeitsweise von BDS unvoreingenommen zu analysieren, ist ebenfalls nichts Neues.
Was klar wird: Die Kritiker*innen von Forderungen nach Boykott, Sanktionen und Desinvestionen gegenüber Israel stehen langsam, aber sicher alleine da und sollten sich gut überlegen, wie lange sie noch dafür herhalten wollen, Kampagnen gegen die israelische Apartheid und den Genozid gegen die Palästinenser*innen schlechtzureden.
Neue Forderung an die SRG SSR
Angesichts der Brutalität, mit der Israel seine Politik der ethnischen Säuberung in der Westbank, Ostjerusalem und Gaza vorantreibt, ist es empörend, dass die EBU sich nach wie vor weigert, den israelischen nationalen Rundfunk KAN von der Teilnahme am ESC auszuschliessen. Eine Mehrheit der Palästinenser*innen, die Opfer von Genozid und Apartheid, fordern schon seit Jahren Boykott, Desinvestition und Sanktionen gegen Israel. Wenn wir jetzt nicht hinhören, wann dann? Dass deshalb auch die israelische Firma Moroccanoil vom Sponsoring des Events ausgeschlossen werden muss, versteht sich von selbst.
Dass die EBU weiterhin mit einem Unternehmen und einem Fernsehsender aus einem Land kuschelt, das Apartheid und Genozid begeht, akzeptieren wir nicht. Wir fordern deshalb die SRG SSR dazu auf, Rückgrat zu zeigen und sich aus dem ESC zurückzuziehen, bis sowohl der israelische Sender KAN als auch Moroccanoil nicht mehr Teil des ESC sind – und bis:
- Israel den Genozid in Gaza beendet
- die illegale Besatzung des Westjordanlands, Ostjerusalems und Gazas beendet
- palästinensischen Menschen mit israelischer Staatsbürgerschaft dieselben Rechte gewährt wie jüdischen Bürger*innen
- das Recht der palästinensischen Geflüchteten auf Rückkehr anerkennt und umsetzt.