Offener Brief von BDS Austria an den Verein Südwind Entwicklungspolitik Wien

20.05.2016

Categories: Andere

Liebe Frau Natalie Plhak, liebe Frau Renate Sova, lieber Herr Walter Bauer, sehr geehrter Vorstand des Vereins Südwind Entwicklungspolitik Wien

 

Zuallererst möchten wir Ihnen unseren größten Respekt für Ihre jahrzehntelange, kontinuierliche Arbeit und Ihr Engagement für Gegenentwürfe und Alternativen einer nachhaltigen, menschengerechten Lebens- und Wirtschaftsform ausdrücken.

Unsere Wertschätzung und unser Respekt für Ihr Engagement waren mit ein Grund, weshalb wir uns im Frühjahr 2015 entschieden hatten, mit einem Infotisch an Ihrem nunmehr seit 32 Jahren gefeierten Südwind Straßenfest teilzunehmen. Auch dieses Jahr haben wir uns – nicht zuletzt ermutigt von Mitgliedern Ihrer Organisation – für eine Teilnahme angemeldet. Umso überraschter waren wir, als wir innerhalb der Rückmeldefrist von Ihnen per E-Mail eine Absage erhielten. Dabei hat uns die Absage selbst weniger verblüfft als vielmehr die angeführte Begründung. Sie drücken darin Ihre Anteilnahme am Wunsch aus, „dass die fortdauernde Unterdrückung und Diskriminierung von PalästinenserInnen beendet wird, damit alle Menschen in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten unabhängig von religiöser oder anderer Zugehörigkeiten gleichberechtigt und in Würde in ihrer Heimat leben können“, Sie berufen sich dann jedoch als Begründung für Ihre Absage unserer Teilnahme auf zwei Organisationen, die zu Recht von breiten Teilen der internationalen Antiglobalisierungsbewegung als neokonservative, rechtsgerichtete Lobbygruppen/Interessenverbände kritisiert werden. Gegen die von Ihnen als Referenz genannte „Anti-Defamation-League“ (ADL) erhoben zahlreiche Intellektuelle schwerwiegende Vorwürfe und übten Kritik, die wir an dieser Stelle nur in Auszügen wiedergeben können.

So schrieb der US-amerikanische investigative Journalist Robert I. Friedman, dass die ADL mutmaßlichen oder tatsächlichen SozialistInnen, Anti-Apartheid-AktivistInnen, der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung NAACP, sandinistischen, palästinensischen und arabischen Solidaritätsgruppen sowie UnterstützerInnen der israelischen Gruppe Peace Now und anderen Organisationen in den USA nachspioniert und die gesammelten Informationen an das südafrikanische Apartheidregime und den israelischen Geheimdienst weitergegeben habe. In einem offenen Brief zahlreicher US-amerikanischer Intellektueller, der 2006 in der New York Review of Books veröffentlicht wurde, wurde der ADL vorgehalten, „ein Klima der Einschüchterung“ zu verbreiten, das „mit den Grundprinzipien von Diskussionen in einer Demokratie“ unvereinbar sei. Ähnlich schwerwiegende Kritikpunkte finden Sie zu dem von Ihnen als zweite Referenz genannten Simon-Wiesenthal-Center, das jüngst zusammen mit anderen Lobbygruppen für die Ausladung der Holocaust-Überlebenden Hedy Epstein im österreichischen Parlament sorgte.

Wir können durchaus nachvollziehen und haben Verständnis dafür, dass die teilweise bitter geführte und mühsame Auseinandersetzung rund um den sogenannten israelisch-palästinensischen Konflikt und insbesondere das darin vorzufindende politische Klima der Einschüchterung, der politischen Erpressung und der schon an den McCarthyismus erinnernden Denunziation abschreckende Wirkung zeigt. Dennoch sind wir fest davon überzeugt, dass gerade auch eine NGO wie die Ihre, die sich der „ökologischen, wirtschaftlichen und sozial nachhaltigen, zukunftsfähigen Entwicklung verpflichtet“ fühlt und „sich für die Verringerung der Kluft zwischen Nord und Süd“ einsetzen will, in dieser Frage einen klaren Standpunkt einnehmen sollte. Dieser kann unserer Meinung nach kein lavierender, abwartender, taktischer oder mutloser Standpunkt sein, wie ihn Viele in Europa einzunehmen bereit sind. Der südafrikanische Erzbischof und Anti-Apartheidaktivist Desmond Tutu hat mit seinem bekannten Zitat „wenn du dich in Situationen der Ungerechtigkeit neutral verhältst, hast du dich auf die Seite des Unterdrückers gestellt“ treffend auf den Punkt gebracht, weshalb dies in einem derartigen Konflikt langfristig nicht tragbar ist. Gerade die Methoden der politischen Einschüchterung und Diffamierung, wie sie von den VerfechterInnen der israelischen Apartheid angewendet werden, neigen dazu, umfassender zu werden, das politische Klima über den sogenannten Israel-Palästina-Konflikt hinaus nachhaltig zu vergiften und im Folgenden auch gegen andere Menschenrechts- und Bürgerrechtsbewegungen / -kampagnen eingesetzt zu werden.

Vor wenigen Tagen haben mehr als 300 Menschenrechts- und Hilfsorganisationen, kirchliche Gruppen, Gewerkschaften und politische Parteien aus ganz Europa die EU aufgefordert, ihre gesetzlichen Verpflichtungen zu wahren und Israel für seine Verletzungen des Völkerrechts zur Verantwortung zu ziehen sowie vor allem das Recht von Personen und Institutionen zu verteidigen, die sich an der palästinensisch-geführten Boykott-, Desinvestitions- und Sanktions-Bewegung (BDS) für Gerechtigkeit und Gleichheit beteiligen. Dies geschah vor dem Hintergrund der Verurteilung eines Aktivisten durch den Obersten Gerichtshofs in Frankreich wegen seines Aufrufs, israelische Waren zu boykottieren. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass die britische Regierung eine Reihe neuer Regeln einführen will, die es für Kommunen und andere öffentliche Einrichtungen, einschließlich Universitäten, schwieriger machen wird, ethisch vertretbare Beschaffungs– oder Investitionsentscheidungen zu treffen. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass der israelische Minister Yisrael Katz jüngst auf einer Anti-BDS-Konferenz andeutete, mit Hilfe des israelischen Geheimdienstes mit „gezielten zivilen Eliminierungen“ gegen prominente BDS-AktivistInnen vorgehen zu wollen. Dies geschah vor dem Hintergrund einer europa- und weltweiten politischen Offensive seitens israelischer Apartheid-ApologetInnen gegen Menschenrechts-AktivistInnen im sogenannten israelisch-palästinensischen Konflikt, die jüngst sogar Amnesty International zu einer dringlichen Stellungnahme veranlasst hat. Wir erinnern in diesem Zusammenhang auch an die versuchte Diffamierung der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung „Code Pink“, gegen die unter anderem das Simon-Wiesenthal-Center schwerste Vorwürfe erhob, um eine Preisverleihung durch die Stadt Bayreuth noch im letzten Moment zu verhindern.

Wir sind überzeugt, dass Sie als Verein Südwind diese besorgniserregenden Entwicklungen gegen Menschenrechtsgruppen und -organisationen nicht gutheißen können und in Ihrem eigenen Interesse und im Namen Ihres eigenen Engagements für Gerechtigkeit, Menschenrechte und Demokratie nicht umhin kommen werden, sie in naher Zukunft mit klaren Worten und Positionierungen zu verurteilen. Wir teilen Ihre Sorge über den wachsenden Rassismus, der gerade in Europa wieder geschichtsvergessen gegen Menschen hetzt, weil sie als Muslime, Jüdinnen/Juden, Asylsuchende oder aus anderen Gründen als „anders“, als „fremd“ diffamiert werden. Gerade deshalb sind wir überzeugt davon, dass der Einsatz und das Engagement für gleiche Rechte, Menschenrechte, Bürgerrechte und Demokratie wichtiger denn je geworden sind. Sich in diesem Punkt jedoch vor ungerechtfertigten und fadenscheinigen Diffamierungen gegen Menschenrechtsbewegungen einschüchtern zu lassen, erachten wir als verhängnisvoll und falsch.

In einer persönlichen Aussprache in Ihrem Büro in der Laudongasse, zu der Sie uns dankenswerterweise nach Ihrer Absage eingeladen hatten, versicherten Sie uns, dass Sie die diffamierenden Unterstellungen, die von der ADL und vom Simon-Wiesenthal-Center gegen die weltweite BDS-Bewegung ins Treffen geführt werden, nicht teilen. Sie betonten ebenso, dass Sie den Boykott als politisches Instrument gegen Unrechtsregime oder gewissenlose Konzerne für gerechtfertigt und richtig halten. Sie erklärten uns aber auch - ohne dabei Details zu nennen -, dass es im Vorjahr „Beschwerden“ gegen den BDS-Infostand gegeben habe und dass Sie beim Straßenfest eine „positive Atmosphäre“ und ein Klima wünschen, in dem sich alle „wohlfühlen“.

Wir haben uns daher entschlossen, dennoch auf unsere Art und Weise am Südwind Straßenfest teilnzunehmen und zwar mit einem Infotisch am Rande Ihrer Veranstaltung. Dies – und es ist uns wichtig, das zu betonen – geschieht nicht als Protest gegen Ihre Entscheidung. Trotz der erwähnten Einwände respektieren wir Ihre Entscheidung sowie Ihr Engagement für eine gerechtere Welt. Zugleich sind wir davon überzeugt, dass eine immer größer werdende Zahl von Menschen, die Ihr und unser Engagement teilen, an der Arbeit der weltweiten BDS-Bewegung interessiert sind. Deshalb nützen wir die Gelegenheit, am Rande des Südwind Straßenfestes InteressentInnen zu informieren und zum Engagement einzuladen. Wer sich für Marginalisierte und an den Rand Gedrängte einsetzt, fühlt sich auch am Rande eines Festes wohl.

 

Solidarische Grüße,
das Team von BDS Austria

Wien, 20.05.2016

 

Der Brief wurde auf der Facebookseite von BDS Austria veröffentlicht.

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